Die Alpenüberquerung Oberstdorf nach Verona auf dem E5
Diese Tour habe ich in zwei Etappen gemacht: 2004 von Oberstdorf nach Bozen und 2006 von Bozen nach Verona. Der E5 ist seit vielen Jahren eine der beliebtesten Weitwanderungen Europas. Vom alpinen Hochgebirge mit imposanten Dreitausendern geht es in sonnig-südliche Gefilde, wo bereits Palmen wachsen. Dazwischen liegen etliche Höhenmeter verteilt auf die Allgäuer, die Lechtaler und die Ötztaler Alpen.

Die tägliche Gehzeit beträgt laut Wanderführer ohne Pausen zwischen fünf und neun Stunden auf zum Teil schwierigen Bergwegen und die Zeit habe ich auch gebraucht. Auf Kilometerangaben wurde größtenteils verzichtet und in der Tat muss man in den Alpen auch deutlich mehr Zeit einplanen als im Flachland oder im Mittelgebirge. Für die Augen präsentiert jede Etappe wunderbares Landschaftskino! Insgesamt habe ich zehn Tage eingeplant.
Die erste Etappe des E5 ist verhältnismäßig kurz und eignet sich nach einer langen nächtlichen Zugfahrt hervorragend, um die Beine etwas warm zu laufen. Von Oberstdorf wandert man in leichtem Anstieg durch das wunderschöne Sperrbachtobel zur Kemptner Hütte auf, wo ich tatsächlich ein Zimmer für mich allein bekomme. In den folgenden Tagen übernachte ich im Zelt oder in Pensionen. In Oberstdorf habe ich zum ersten Mal Stöcke gekauft, um meine ramponierten Knie zu schonen und verzichte seitdem nicht mehr darauf.

Am nächsten Tag ist nach ca. ½ Stunde Gehzeit die österreichische Grenze erreicht. Vorbei am Simms-Wasserfall geht es hinunter in die Lechtaler Gemeinde Holzgau. Mithilfe einer Materialseilbahn kann ich den Rucksack zur Memminger Hütte (2.242 Meter) transportieren und dadurch viel schneller die Höhenmeter bewältigen.




Über den Inn geht’s nach Zams. Landschaftlich ist das eine der schönsten Etappen. Zudem sehenswert ist die Paseier-Spitze, die mit ihren 3036m der höchste Gipfel in den Lechtaler-Alpen ist. Insgesamt nur ca. 350m Aufstieg aber dafür ca. 1800m Abstieg nach Zams. Und das habe ich auf dieser Tour gelernt: Lange Abstiege sind um Welten anstrengender als Aufstiege, denn bei jedem Schritt muss man den ganzen Körper abfangen und bremsen. Da schmerzen bald Schenkel und Gelenke.
Über Wenns führt der Weg zur Braunschweiger Hütte (2.759 Meter) in den Ötztaler Alpen. Unterwegs trifft man immer mal wieder auf die süßen Murmeltiere. Der Ötztaler Höhenweg bietet wunderbare Panorama-Aussichten. Es geht weiter bis zum Bergsteigerdorf Vent und über Moos dann zur Meraner Hütte.





Da ich schon mittags am letzten Etappenziel Jenesien ankomme, beschließe ich, bis zum Jaufenpass weiterzulaufen, um eine Mitfahrgelegenheit nach Deutschland zu bekommen. Mein Wanderführer endet hier, in einem Geschäft liegt aber ein Prospekt aus, auf dem ein gute Luftaufnahme der umliegenden Berge samt des Höhenwegs abgedruckt ist. Alles sieht sehr einfach aus, ist es aber leider überhaupt nicht. Der Aufstieg ist äußerst mühsam, ich verlaufe mich. Als ich fast oben bin, zieht ein Gewitter auf. Alles sieht plötzlich sehr bedrohlich aus. Ich versuche schneller zu gehen, bin aber mittlerweile ziemlich augepowert. Ich stolpere, der Rucksack drückt sein Gewicht gegen mich und ich stürze mit dem Gesicht voran auf einen Felsvorsprung. Panik überkommt mich. Nach endlosen Minuten der Ungewissheit behandele ich die Wunden im Gesicht oberflächlich und schleppe mich weiter. Ich schaffe es tatsächlich bis zu der einzigen Unterkunft weit und breit. Kein Licht brennt dort und auf mein Klingeln und Klopfen kommt keine Reaktion. Da ich es nicht mehr weiterschaffe, drücke ich die Türklinke runter. Die Tür öffnet sich tatsächlich. Ich gehe durch die Diele, gewöhne mich langsam an die Dukelheit und komme in ein Wohnzimmer. Dort sitzt eine alte Frau in einem Sessel und starrt mich ängstlich an. Verdreckt und mit jodverschmiertem Gesicht sehe ich wohl sehr abenteuerlich aus. Das ist auch der Grund, weshalb sie nicht geöffnet hat. Ich bekomme trotzdem ein Zimmer und als der Hausherr, der sich als Bergretter vorstellt, zurückkommt, auch reichlich „heilsamen“ Kräuterschnaps. Es wird letztlich ein gemütlicher Abend vor dem Kamin, ich bekomme etwas zu essen und am nächsten Morgen geht es mir wieder einigermaßen gut. Ich finde am Jaufenpass dann tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit und fahre weiter per Anhalter zurück nach Oberstdorf.

2006 – Zweiter Teil von Bozen nach Verona
Der gesamte E5 Südteil ist geprägt vom Charme der Südalpen mit durchweg faszinierenden Ausblicken auf die italienischen Dolomitenketten und -gipfel, der „schmackhaften“ Gastfreundschaft der Bewohner*innen Südtirols, des Trentinos, Venetiens und nicht zuletzt vom italienischen Dolce Vita. Anspruchsvolle Felsgebirge stellen sich auch hier in den Weg. Allerdings gibt durchaus mal längere Strecken, die nicht die ganze Zeit bergauf oder bergab gehen.
Von Bozen aus geht es erst mal (um langsam anzufangen) mit der Seilbahn nach Bauernkohlen. Anschließend wandere ich bis Deutschnofen, vorbei am Kloster ´Maria Weißenstein´, dem bedeutendsten Südtiroler Wallfahrtsort mit 450jähriger, bewegter Geschichte und durch die Canyons der Alpen, die Bletterbachschlucht. Seit der letzten Eiszeit vor ca. 15.000 Jahren hat sich der Bletterbach eine etwa acht km lange und bis zu 400 m tiefe Schlucht gegraben und dabei fast 250 Millionen Jahre Erdzeitgeschichte freigelegt. Über Forstwege verläuft der Weg nach Oberradein. Von hier aus geht es über Kaltenbrunn nach Truden. Es folgt der ´Lago Santo´ (Heiliger See) und dann steigt man hinab nach Cembra. Von Cembra aus weiter nach Faver, durch ein Tal mit Weinreben, auf die andere Seite nach Piazzo.


Hinter dem Ort ´Stedro-Sabion´ treffe ich auf die Erdpyramiden von Segonzano. Ich passiere die Vetriolo Terme und verbringe einen halben Tag in Levico Terme, einem Ort, der an einem beschaulichen See liegt und zum Baden einlädt.






Über die ehemalige Kriegsstraße geht es auf den Gipfel des ´Monte Maggio´. Das Pasubio Gebirge, durchzogen von Kriegsstellungen, Kavernen, Kommandozentralen, Stollen und Militärstraßen, ist ein Mahnmal für den Wahnsinn des Krieges. Bis zu 38.000 Menschen sollen in diesem Hauptkampfgebiet des 1. Weltkrieges den Tod gefunden haben. Bewusst wurde der E5 durch das Kampfgebiet von Österreichern und Italienern geführt und mit der Bezeichnung „Friedensweg“ der völkerverbindende Gedanke herausgestellt.
Einen weiteren entspannten Tag gibt es schließlich am Gardasee. Mit der Seilbahn geht es auf den Monte Baldo und dann wieder entlang eines Höhenwegs mit sensationellen Blicken auf den See. Die letzten Kilometer fahre ich mit dem Bus, um dann in Verona in den Flieger zu steigen.




